Gendern in Leichter Sprache: Geht das?

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Gendern und Leichte Sprache haben eine gemeinsame Grundidee: Sie sollen die Diskriminierung benachteiligter Zielgruppen vermeiden. Aber sind Gendern und Leichte Sprache überhaupt miteinander kompatibel?

Eine illustrative Grafik, die einen Menschen zeigt, wie er vor einem Text sitzt und grübelt. Um ihn herum schwirren Buchstaben.

Als Online Marketing Agentur, die unter anderem barrierefreie Websites entwickelt und nicht nur mit Unternehmen, sondern auch mit Behörden und anderen Organisationen zusammenarbeitet, wird uns diese Frage häufig gestellt. Die Antwort finden Sie in diesem Artikel.

Warum bestehen Zweifel an der Vereinbarkeit zwischen Gendern und Leichter Sprache?

Leichte Sprache richtet sich an Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder mit geringer Sprachkompetenz. Das sind die Anforderungen dieser Zielgruppen:

  • Kurze Sätze (bei PDFs: ohne Trennung durch Seitenumbruch)
  • Eine Aussage pro Satz
  • Viele kurze Absätze
  • Kompakter Schreibstil ohne Füllwörter
  • Möglichst einfache Begriffe
  • Wenn schwere Begriffe unvermeidbar sind, dann mit Erklärung
  • Trennung zusammengesetzter Hauptwörter mit Bindestrichen
  • Große Zahlen z.B. mit „sehr viel“, „sehr groß“ umschreiben
  • Negierende Wörter wie „nicht“ oder „kein“ fetten
  • usw.

Gendersprache soll als Ausdruck für Nichtdiskriminierung fungieren; insbesondere sollen sich damit neben Männern auch Frauen und nichtbinäre Personen angesprochen fühlen.

Leider verkompliziert Gendern in vielen Fällen unsere Sprache. Deswegen ist es fragwürdig, ob Gendern und Leichte Sprache trotz ihrer gemeinsamen Grundidee in der Praxis gut miteinander harmonieren.

Gendern und Leichte Sprache: So geht es

Die einzige Form von Gendersprache, die mit Leichter Sprache harmoniert, ist die Verwendung neutraler Begriffe. Hier ein paar Beispiele:

  • Mensch
  • Person
  • Leute
  • Mitglied
  • Gast

Diese Begriffe lassen völlig offen, ob damit Frauen oder Männer angesprochen werden sollen. Außerdem sind es geläufige Begriffe mit leicht verständlicher Bedeutung.

Generisches Maskulinum

Darüber hinaus empfiehlt sich die Verwendung des generischen Maskulinums. Das generische Maskulinum heißt: Wer z.B. „Lehrer“ schreibt, meint damit nicht nur männliche Lehrer, sondern auch Lehrerinnen und Diverse.

Das generische Maskulinum ist jedoch keine Gendersprache, sondern Alltagssprache. Wer klarstellen möchte, dass mit dem generischen Maskulinum auch Frauen und diverse Menschen angesprochen werden sollen, kann einen entsprechenden Hinweis aufnehmen.

Bespiel-Gender-Hinweis:

Ein solcher Gender-Hinweis kann auch in Leichter Sprache erfolgen, im nachfolgenden Beispiel mit direkter Ansprache des Lesers per „Du“. In Leichter Sprache wird häufig mit dem „Du“ gearbeitet, um Texte besonders zugänglich zu machen.

Beispiel-Gender-Hinweis in Leichter Sprache:

Geeignete Stellen für einen solchen Hinweis sind:

  • Bei Websites: In die Erklärung zur Barrierefreiheit oder als Abbinder ans Ende der Pages
  • Bei Essays: Zwischen Deckblatt und Inhaltsverzeichnis
  • Bei sonstigen Dokumenten: Ans Ende des Dokuments

Bei Websites und sonstigen Dokumenten ist es unüblich, den Hinweis zum generischen Maskulinum an den Anfang zu stellen. Denn es ist davon auszugehen, dass die Leser den Text in erster Linie lesen, weil sie ein bestimmtes Alltagsziel verfolgen, wie z.B. Wissenstransfer, Behördengang oder den Kauf von Produkten oder Dienstleistungen. Dabei ist die Nichtdiskriminierung zwar wünschenswert, aber nicht unbedingt vordergründig.

Für viele Menschen ist Nichtdiskriminierung zudem glücklicherweise eine Selbstverständlichkeit, sodass nicht zwangsläufig darauf hingewiesen werden muss – außer, der Absender wünscht es so.

Gendern und Leichte Sprache: So geht es nicht 

Folgende Formen des Genderns stehen im Widerspruch zu Leichter Sprache:

Form des GendernsBeispielErklärung
DoppelnennungLehrer und LehrerinnenDie Doppelnennung macht den Text sperrig. Der Fokus auf das Geschlecht lenkt vom eigentlichen Inhalt der Aussage ab. Ausnahme: Formulierungen wie „Sehr geehrte Damen und Herren“ sind geläufig, auch für Menschen, die Leichte Sprache benötigen.
PartizipienLehrende, StudierendeDie Umschreibung mit Partizipien erschwert das Textverständnis, da viele dieser Begriffe nicht geläufig sind. Zudem ist es verwirrend, dass die „-end“-Form normalerweise etwas beschreibt, was gerade stattfindet. Lehrende wären demnach nur dann Lehrer, während sie gerade unterrichten, außerhalb des Unterrichts aber nicht.
„innen“-Konstrukte mit Gender-Stern, Doppelpunkt oder Binnen-ider / die Lehrer*innen
der / die Lehrer:innen
der / die LehrerInnen
In der Leichten Sprache werden bereits viele Bindestriche eingesetzt, um das Verständnis zusammengesetzter Substantive zu erleichtern. Es ist nicht empfehlenswert, über reguläre Satzzeichen und Bindestriche hinaus noch Sonderzeichen inflationär zu verwenden. Sternchen werden normalerweise für Fußnoten und Hinweise verwendet, Doppelpunkte für Aufzählungen oder Einleitungen. Zudem haben Screenreader mit Doppelpunkten Probleme. Großbuchstaben in der Wortmitte sind außer bei Abkürzungen unüblich, außerdem kann ein großes „i“ als kleines „L“ missverstanden werden.

Wir empfehlen, in Texten in Leichter Sprache auf die Verwendung der obengenannten Formen des Genderns zu verzichten. Noch weniger geläufige Formen des Genderns sollten erst recht vermieden werden.

Seien Sie auf Augenhöhe mit Ihrer Zielgruppe

Wir möchten darauf hinweisen, dass Unternehmen, Behörden, Stiftungen und sonstige Organisationen, die nach der Vereinbarkeit von Gendern und Leichter Sprache fragen, leider zum Teil fehlberaten werden.

Der Grund ist: Wie eingangs beschrieben haben Gendern und Leichte Sprache die gemeinsame Zielsetzung der Nichtdiskriminierung. Daher ist es naheliegend, dass Entscheider, die sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind und verständlicherweise großen Wert auf Nichtdiskriminierung legen, am liebsten beides haben möchten.

Eine Gruppe von Menschen unterschiedlichen Geschlechts und Alters, einige mit sichtbaren Behinderungen, lächeln in die Kamera.
Beste Absichten und gut gemeinte Ratschläge können an der Realität vorbeigehen. Denn effektiv kommunizieren heißt, Sprache passgenau auf die Zielgruppe zuzuschneiden.

Gemäß unserer Projekterfahrung spricht daher im Regelfall nichts dagegen, wenn Sie in regulären Texten gendern möchten. Wir raten lediglich davon ab, in Texten in Leichter Sprache zu gendern. Denn eine Verkomplizierung des Textes oder ein zu starker Fokus auf die Geschlechter statt auf den Textinhalt sind nicht im Sinne dieser Zielgruppen.

Bei allen Themen rund um Nichtdiskriminierung empfehlen wir dringend, unter Einbeziehung der Zielgruppen zu entscheiden. Ansonsten laufen Sie Gefahr, Ihre eigentliche Zielsetzung zu verfehlen oder Ihre Organisation zur Zielscheibe für Kritik zu machen.

Ein Beispiel: Zur vermeintlichen Nichtdiskriminierung hat das Humboldt-Forum hat das Wort „Oberindianer“ aus Lindenbergs Song „Sonderzug nach Pankow“ gestrichen und durch „Ober-iiiiii“ ersetzt. Daraufhin hat sich Carmen Kwasny, die Vorsitzende des Indianervereins NAAOG (Native American Association of Germany), zu Wort gemeldet:

„Das Wort ‚Indian‘ als rassistisch zu bezeichnen, ist sehr problematisch, da es von vielen Native Americans verwendet wird. Ein Verbot ist ein Schlag ins Gesicht dieser Menschen, denn sie identifizieren sich mit ihrer Tribal Nation oder Community. […] Wir als Vereinigung haben nie gefordert, das Wort Indianer aus dem Sprachgebrauch zu verdammen.“

Bitte beziehen Sie die Zielgruppen ein, suchen Sie den direkten Austausch und hinterfragen Sie stets kritisch, ob Ihre guten Absichten im Realitätscheck auch wirklich zum gewünschten Ziel führen.

Kontaktmöglichkeit für Unternehmen

Als Online Marketing Agentur mit praktischer Erfahrung in der Entwicklung von barrierefreien Websites und Websites in Leichter Sprache unterstützen wir Sie gerne bei Ihren Projekten.

Bitte senden Sie uns zunächst eine schriftliche Erstinformation über das untenstehende Kontaktformular zu. Anschließend beraten wir sie auch gerne persönlich per Telefon, per Videokonferenz oder vor Ort.

IHR ANSPRECHPARTNER

Maxim Bollig
Digital Marketing Manager
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